7.8.06

(6) Identität - was oder wie (SK2)

Zusammenfassung des Text aus Luhmann, Niklas: Soziologische Aufklärung 5


Die Kybernetik zweiter Ordnung (second order cybernetics) stellt von "Was-" auf "Wie-"Fragen um. Beides ist eine Form des Operierens und Beschreibens, allerdings auf 2 verschiedenen Ebenen: weg von der unmittelbaren Sachbeobachtung und -beschreibung, hin zum beobachten und beschreiben von Beobachtungen und Beschreibungen.
Um eine Beobachtung zweiter Ordnung durchzuführen muss (1.) ein Beobachter von dem unterschieden werden, was er beobachtet und (2.) müssen seine Beobachtungsoperationen von den anderen Operationen die er ausführt isoliert werden. WIE ist das möglich? --> Durch Beobachtung zweiter Ordnung.

In der konstruktivistisch-systemischen Gesellschaftstheorie wird autologisch und zirkulär vorgegangen. Es wird eine Beschreibung verwendetet, die sich aus dem Beobachtungsgegenstand, der Gesellschaft als Gesamtheit aller Kommunikation, selbst ergibt. Das System welches das beobachtete System als System in der Unterscheidung System]Umwelt beschreibt ist das ein und dasselbe System.

Die Beobachtung 2. Ordnung stellt einen universalen Weltbezug her. Es gibt soviele Welten, wie es Beobachter gibt. Jeder von ihnen sieht eine komlette Welt ohne Nichts, auf der Seite des Systems der System]Umwelt-Unterscheidung. Aber sie können DIE Meta-WELT, die Einheit von System und Umwelt sich nur imaginär vorstellen, letztlich bleibt sie ihnen unzugänglich. Die Welt komplette Welt ist für einen Beobachter immer komplexitätsreduzierte Welt.

Die Reduktion der Komplexität, welche stattfindet, wenn Beobachter etwas beobachten, ist die Voraussetzung dafür, dass es innersystemisch bzgl. der Beobachtungsmöglichkeiten zu einer Komplexitätssteigerung kommt. }- Ausgeschlossen ist lediglich, die Beobachtung selbst zu beobachten (es sei denn mit einer erneuten, unbeobachtbaren Beobachtung). Eine Unterscheidung kann während mit ihr operiert / gearbeitet wird, nicht gleichzeitig unterschieden werden. Dies ist der blinde Fleck.

Als Unterscheidung verstehen wir hier eine Form mit 2 Seiten. Die eine Seite ist eine vertikale und unterscheidet zwei Werte, die andere Seite ist eine vertikale und bezeichnet einen (und nur einen) Wert der beiden. Dabei handelt es sich bei dem markierten Wert um den Wert, der mit der Unterscheidung beobachtet und an den angeschlossen wird. Der andere Wert dient lediglich zur Reflexion.

Eine Unterscheidung wird spezifizierbar, indem man auch ihrer unmarkierten Seite eine Bezeichnung gibt. Damit wird auch die markierte Seite erst als Begriff verwendbar, denn auf der gegenüberliegenden Seite (dem nun benannten unmarked state) liegt alles, was ebenfalls durch die markierte Seite betroffen ist, aber nicht betrachtet wird. Durch diesen "ganzen Rest", wird die Kontingenz sowie Einschränkungen und Bedingungen für Anschlussmöglichkeiten der Innenseite deutlich.

Will man allerdings die Grenze kreuzen, d.h. vom markierten Raum in den unmarkierten Raum und vielleicht von dort auch wieder zurück, so benötigt man für jedes Mal, wenn man die Grenze kreuzt, Zeit. Obwohl beide Seiten immer gleichzeitig gegeben sind, kann man nicht auf beiden Seiten gleichzeitig operieren.
Die Form bildet ein paradoxes Zeitverhältnis ab: das gleichzeitige Vorher und Nachher in einer Zeit die weitere Vorhers und Nachhers in Aussicht stellt. Dieses Formkalkül für in eine Logik, die nichtstationär und sich selbst asymmetrisierend ist.

Die Grenze, die, durch den Formbegriff abgebildet, in die Welt gezogen wird, beschreibt die Welt als sich selbst beobachtende Welt, als Ausdifferenzierung von Systemen.
Um die Gesellschaft nicht mehr ontologisch beschreiben zu müssen - was ohnehin nicht angemessen funktioniert - stellen wir ab auf das Beobachten von Beobachtern, was uns erlaubt, gleiches ungleich zu behandeln und zwar indem verschiedene basale Unterscheidungen den Beobachtungen zugrunde legen.
Beim Beobachten zweiter Ordnung wird trotzdem noch das beobachtet, was der beobachtete Beobachter 1. Ordnung sieht, aber nicht direkt, sondern über den Beobachter 1. Ordnung (würden beide direkt sehen, hätte man 2 parallele Beobachter 1.Ordnung).
Für das Problem des Beobachens von Gesellschaft (aka Kommunikation) (in der man bspw. über Struktur, die an Bewusstseinssysteme gekoppelt ist, mit nicht mitkommuniziertes (latente Vorstellungen, Interessen etc.) der einzelnen individuellen Bewusstseinssysteme rechnen muss) heißt dass, das man (d.h. hier: die Kommunikation) zwar sieht was man sieht, aber nicht sieht, was man nicht sieht (Insofern wird Kommunikation immer partiell unsteuerbar bleiben und kann höchstens in einem relativ offenen Raum herumgeschubst werden. Anm. D.K.).

Hier wird eine genetische Theorie der Sinnkonstitution postuliert und zwar mit der Absicht, die Genese von Identität und die Folgen der Art und Weise wie sie produziert wird besser analysieren zu können. Identität ist, was bei der Synthese einer Vielzahl von Eindrücken fremder Herkunft als Identisch beobachtet wird. Erforderlich wird eine Identifikation erst dann, wenn eine Operation wiederholt werden soll, also bei Systembildung (Anschluss von Operation an Operation). Identität bidelt sich durch die Technik der Kondensation (eine Operation wird mit einer anderen identisch gesetzt) oder durch die Technik der Konfirmation (eine Operation wird durch Wiederholung bestätigt). Auf diese Weise wird auch Sinn generiert.

Die Beobachtung der Erzeugung von Sinn (als Wiederholung, Kondensation oder Konfirmation) ist immer eine Beobachtung 2, Ordnung. Kommunikationssysteme können dann anschließend sich mit einem Kommunikationsnetzwerk 2. Ordnung ausstatten um ihren eigenen Zustand beobachten zu können.

Da es aber unmöglich ist auf die Außenseite des Sinn-Begriffs zu wechseln (es müsste sich wohl um sowas wie Verwirrung von Zeichen handeln; Anm. D.K.), da man auch "Nicht-Sinn" sinnhaft interpretieren müsste, kann Sinn nur "als ob" von außen beobachtet werden. Allerdings kann man als für Oszillation offene Unterscheidungen auf Kondensation]Konfirmation] bzw. Aktualität]Potentialität] rekurrieren.

Im Gegensaz
tzur Ontologie, die das "Nichtsein" als grundlegende Gegenseite vom grundlegenden "Sein" installiert, wird im, an vielen Unterscheidungen orientierten Konstruktivismus zwischen "Nichtsein" und "unmarked state" unterschieden. Zum "Nichtsein" konnte man von der "Sein"-Seite nicht wechseln , denn man kann das Nichtsein in der Welt nicht beobachten, weil alles was man beobachtet ja ist. Man kreuzte also die Unterscheidung einmal und sah nichts und kreuzte sie noch mal und alles war wie vorher. }- "]] -> " }- dieses Form des Kreuzen wird cancellation genannt. Dagegen ist es bei höherstufigen Begriffen prinzipiell möglich, die Unterscheidung zur anderen Seite, dem "unmarked state", zu kreuzen.

Bleibt man auf der anderen Seite (dem "unmarked state") und operiert von dort aus, so wird diese Seite zur Reflexionsseite der Innenseite und zeigt die Kontingenz des dort bezeichneten Wertes. }- dies wird compensation genannt. Aber man kann nicht auf der "unmarked state"-Seite bleiben, denn dies würde dazu führen, dass man sie mit einer Bezeichnung versieht und es mit einer neuen Innenseite einer neuen Form zu tun hätte.

Zu den strukturellen Bedingungen der hier beschreibenden und beschriebenen modernen Gesellschaft gehört ein hohes Maß an funktionaler Ausdifferenzierung und damit die Entwicklung einer Vielzahl von binären Codes. Diese sind Voraussetzung für die Ausdifferenzierung von Funktionssystemen. für welche die binären Codes unabhängig voneinander operationsleitende Funktionen erfüllen. Jedes Funktionssystem unterliegt dabei einem eigenen und nur einmal vorkommenden Code. Eine Supercodierung bspw. durch Moral ist nicht möglich (Gleichwohl kann die ganze Ges. durch eine solche Codiert sein, nämlich die durch Inklusion und Exklusion. Dazu gehört nur, wer dazugehört; Anm. D.K.)

Der relevante Informationshorizont für ein operierendes System ist immer "die Welt". Aber es ist "die Welt aus einer ganz bestimmten Perspektive". Hier kommt die Kombination der Unterscheidung spezifisch/universell ins Spiel, die ein Kennzeichen der modernen Ges. ist. Mit der universellen Komponente der Codierung wird gleichsam die ganz Welt unter jeweils einer systemspezielle Codierung erfasst, während mit der spezifischen Seite gemeint ist, dass bestimmte Programme ausgebildet werden, die ganz bestimmte Zuordnungen ermöglichen. Die binären Codierungen sind nicht austauschbar, die Programme unterliegen ständigen Veränderungen. In eine adäquate Gesellschaftstheorie muss diese Erkenntnis eingearbeitet werden. Dies kann durch polykontexturale Formen ermöglicht werden.

Eine solche Form der polykontexturalen Gesellschaftsbeschreibung wäre, dass man jedem Code transjunktives Operieren zuerkennt, d.h. dass die Gleichzeitigkeit von Innenwelt (System) und Außenwelt (Umwelt) anerkannt wird, mit dem Recht (weil nur so möglich), einen systeminteren Funktionsprimat zu akzeptieren und alles andere zu verwerfen. Ein Beobachter 2.Ordnung könnte dabei zugleich sehen, was die beobachteten Systeme nicht sehen. Er wird beobachten, wie die Systeme über den Gebrauch einer bestimmten Leitunterscheidung ihrer Identität generieren und von dieser Unterscheidung abhängig sind.

Gesellschaft und ihre binnensystemisch ausdifferenzierten Subsysteme sind davon nicht ausgenommen. Sie kann sich nur selbstreferentiell beobachten und beschreiben, denn sie ist autopoietisch und geschlossen. Ihre Selbst- wie Fremdbeschreibung sind immer intern produzierte Beschreibungen. Eine freischwebende Weltaussage fällt aus dem Möglichkeitsrahmen, denn diese wäre der Punkt der Selbstreferenz, an dem Selbst- und Fremdbeschreibung zusammenlaufen. Weltbezug ist nur unter Hinweis auf den unbeobachteten "unmarked spate" möglich. Die moderne Gesellschaft produziert nicht nur unzählige Welten. Sie produziert auch das Problem der unbeschreibbaren Welt unzählige Male.

Statt mit Sicherheit einen letztlich gültigen Abschlussgedanken errechnen zu können, eine absolute Problemlösung zu erwarten, muss auf Problemzugang umgestellt werden, wofür aber verschieden Ausgangsunterscheidungen gewählt werden können. Wahl meint hier aber nicht "absolute freie Wahl", sondern konditionierte Wahl, Operationen als Auswahl in einem bestimmten gegebenen Rahmen. Die Beobachtung 2.Ordnung kann hier die Konditionierung des Unterscheidens u. Bezeichnens beobachten.





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