25.8.06

(13) Der Mensch in der Systemtheorie (SM3)



Alois Hahn nimmt einen abgleichenden Bezug von Systemtheorie und der Anthropologie Arnold Gehlens vor.

Bei Gehlen ist der Mensch ein Wesen ohne angeborenen Instinktapparat. Dadurch ist er "weltoffenes" "Mängelwesen": Selbstreferentielle Mängel gleicht er durch fremdreferentielle Beziehungsoffenheit aus.

Anstatt des Instinktapparates verfügt der Mensch über Kultur in Form von Institutionen, welche im menschlichen Habitus verankert werden. Erlernte Routine ersetzt angeborene Reflexe. Dies spart zunächst Zeit und ermöglicht im nächsten Schritt Reflexion u. Modifikation. Kultur ist auch das System, dass den Menschen sozialisiert, denn Institutionen sind soziale Errungenschaften, die das einzelne Individuum prägen.

"Nicht Natur" = Kultur

Für Gehlen kommt es in der Moderne zum Institutionenrückgang und damit zum Verlust von stabilem Außenhalt für den Menschen. Damit das Individuum genötigt eine Institution für sich selbst, "eine Institution in einem Falle" zu werden. So entfremdet sich das Individuum von der Gesellschaft.

Die Systemtheorie Luhmanns startet ebenfalls mit einem anthropologischen Element: Soziale System sollen die Weltkomplexität soweit reduzieren, dass der Mensch diese bewusst verarbeiten kann. Über die Form "Sinn" in der dies geschieht ist die Hyperkomplexität nie völlig ausgeschlossen, sondern kann selektiv reaktualisiert werden.

Später jedoch distanziert sich die Systemtheorie von Gehlens anthropologischer Sichtweise. Es wird das Konzept der kontingenten (System-)Strukturen gegen das der institutionenbezogenen Anthropologie stärker ausgearbeitet.
Die Systemtheorie wird radikal konstruktivistisch und ahumanistisch. Die Gesellschaft besteht nicht (mehr) aus Menschen, sondern aus Kommunikation.

Der Mensch wird zerschnitten in eine Vielzahl emergenter Systeme, deren überkomplexes Konglomerat er ist. Das Meiste dieser Systeme und ihrer Operationen geht nicht mit ein in die Kommunikation, ist also gar nicht an ihr beteiligt.
In der Kommunikation ist es nun nicht das Denken von Menschen welches operiert, sondern es ist die Kommunikation selbst, die sich zwischen Alter Ego und Ego - und hier blitzt das auf, was vom Menschen in der Kommunikation noch übrig ist -, im Verhältnis von Mitteilung, Information und Verstehen realisiert.

Alter Ego wird für die Art der Mitteilung einer bestimmten Information verantwortlich gemacht - aber erst dann, wenn Ego ihn auch (miss-)versteht. Es müssen also immer mindestens 2 Bewusstseinssysteme an einer Kommunikation beteiligt sein.

Der Mensch vielleicht für einen Beobachter eine Einheit, aber er ist kein autopoietisches System.

Die Einbindung des Bewusstseinssystems - denn nur dieses vermag Kommunikation zu irritieren - wird über Interpenetration und strukturelle Kopplung erklärt, der Rest des "Menschen" in der relevanten Umwelt des Kommunikationssystems Gesellschaft verortet.

Man könnte vielleicht sagen, im Gegensatz zu Seeräuberzeiten, wo manch einer abgeschieden von der Welt auf einer Insel ausgesetzt / gefangen wurde, wird der Mensch in der Moderne in der Welt, außerhalb der Systeminsel ausgesperrt / befreit.

Individualität ist, nach Simmel, ein Schnittpunkt sozialer Kreise, wobei das Ganze aus den einzelnen Kreisen ausgeschlossen wird. Für Luhmann ist Individualität zwar real, aber aus den einzelnen Teilsystemen ausgeschlossen und nur in der systemrelevanten Umwelt zu finden.

Während Individualität exkludiert ist, ist die Person als Adresse für Kommunikation oder als Erwartungsbündel in alle Teilsysteme inkludiert.

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